Ansprache zur Verleihung des Preises der 12. Ortung an
Florian Tuercke
Schwabach, 7. August 2021
von Barbara Leicht M.A.
Schwabach hat eine schöne Aura. Aura und Aurum, das Gold stehen etymologisch in Zusammenhang mit Aurora, der golden leuchtenden Morgenröte. Bei jeder Ortung zeigt sich ein solch goldenes Leuchten zeitgenössischer Kunst quer durch diese beschaulich bezaubernd besondere Stadt.
Die 12. Ortung bleibt sich auch im Jahr 2021 treu. Das Projektteam sucht im Vorfeld der durch die gesamte Altstadt laufenden Biennale Orte aus, in denen die geschätzten Künstlerinnen und Künstler ihrer Phantasie zum genius loci freien Lauf lassen und die Stadt mit klugen Konzepten bereichern. Natürlich in Verbindung mit dem allgegenwärtigen Schwabacher Thema, das gefühlt schon immer Motor der Stadt ist. Was ein zehntausendstel Meter dünnes, kostbares Schlagmetall auslösen kann, ist erstaunlich und im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig.
Unter den diesjährigen Orten sticht einer durch seine lange Tradition heraus, geliebt von den Bürgern, eines der Wahrzeichen der Stadt. Es ist der größte Sakralbau der fränkischen Goldschlägermetropole: die evangelische Pfarrkirche mit dem ehemals katholischen Patrozinium St. Martin und St. Johannes. Gegen Ende des 15. Jh. entstand durch das Engagement der Schwabacher Bürgerschaft eine wunderbare Staffelhalle, ausgestattet unter anderem mit Arbeiten aus der Werkstatt des Michael Wohlgemuth, des Lehrers von Albrecht Dürer. Wohin das Auge auch blickt, feinste Nürnberger Malerei und Bildhauerei. Vergoldet mit Blattgold.
Heuer hat sich Florian Tuercke diesen Raum ausgewählt. Tuercke, 1977 in Nürnberg geboren, studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg und war Meisterschüler von Diet Sayler. Er erhielt Stipendien, Residencies und mehrere Preise und stellte in verschiedenen Ländern Europas und Russland sowie in Israel, den Vereinigten Staaten, Mexiko, Chile und Japan aus. Klang, Geräusche und Töne, die er unter anderem aus dem Stadtraum filtert oder aber mit neuen technischen Methoden generiert, sind gepaart mit ästhetischen Objekten Kern seiner Ausdrucksweise. Er ist ein erfahrener, vielschichtiger, den zeitgenössischen Medien zugewandter Künstler.
„Black Stupa in a Golden Age“ – so heißt sein Werk in der Stadtkirche – ist eine Klang-installation. Aber eigentlich ist die Installation viel mehr als nur Klang, denn die Kirche wird behutsam mit Klang und einem in seiner inneren und äußeren Gestaltung wohl ersonnenen Objekt akzentuiert.
Ein außergewöhnlicher Blick auf einen Sakralraum. In dieser Arbeit spiegeln sich nicht nur die christliche Tradition, sondern zugleich auch Interreligiosität und Interkulturalität.
Zwei moderne Begriffe, die jedoch mindestens seit dem Mittelalter in der Gesellschaft wohl aller Städte wahrnehmbar sind. Christen und jüdische Gläubige gab es dort schon zu jener Zeit, in der die Stadtkirche entstand. Heute sind es durch die Globalisierung, in deren Schatten Flucht und Vertreibung stehen, viele Religionsgemeinschaften und Ethnien mehr in unseren Städten als vor 500 Jahren. Nicht umsonst gibt es auch in Schwabach einen Integrationsrat.
Das von Tuercke klug erdachte und brillant gemachte Werk ist unaufdringlich, es will weder belehren, noch auf eine Glaubensrichtung hinweisen. Es besetzt den Sakralraum dezent. Es schwebt. Es glänzt. Es klingt. Durch seine polygonale Form huldigt es jeder Himmelsrichtung, erweist jedem der wunderbaren Schreine mit den farbig gefassten und teilvergoldeten Heiligenfiguren die Ehre und ganz besonders jedem Gläubigen, jedem Neugierigen und jedem Kunstfreund, der das Langhaus betritt.
In bald barocker Manier prägt Tuercke im exakten Zentrum des Hauptschiffs einen neuen Mittelpunkt. Sublim erscheint der Zentralraumgedanke in der spätgotischen Architektur der Stadtkirche. Man mag in der Tat an einen barocken Zwiebelturm denken oder sogar an ein überdimensioniertes Rauchfass – vor der Reformation war die Luft der Stadtkirche im katholischen Ritus permanent weihrauchgeschwängert. Nun wabert kein Rauch aus der Öffnung, sondern es erklingen, wenn man möchte, sphärische Töne.
Das rund 25 kg schwere Objekt aus schlagmetallvergoldetem Sperrholz lagert auf drei Klaviersaiten, die zwischen den beiden mittleren Pfeilern verspannt sind. Sie werden nur dann in Schwingungen versetzt und damit hörbar, wenn der Betrachter neugierig seine Finger auf dem schräg darunter am Kirchengestühl angebrachten I-Phone bewegt. Die durch eine Applikation empfangenen Impulse werden verstärkt und an einen Elektromagneten geleitet, der die Saiten zum Schwingen bringt. Im Hohlkörper des vergoldeten Holzobjekts verstärken sich die Töne. Es fungiert wie der Korpus eines Saiteninstruments.
Black Stupa in a Golden Age
Ein Stupa ist ein buddhistisches Bauwerk, in dem Reliquien von Buddha verbracht wurden. Er wird von den Gläubigen im Gebet umkreist. Eine kleinere Form ist ein Stupa, der als Votiv die Hoffnung des Erbauers um positive Wiedergeburten befördern soll, am allergünstigsten den Eintritt ins Nirwana. Betreibt der Erbauer sein Werk nicht ernsthaft und tief inbrünstig glaubend, so ist der Stupa funktionslos, bedeutungsleer und damit ein Black Stupa.
Die sphärischen Töne, die aus dem Werk von Tuercke erklingen, stammen irgendwo aus dem Nirgendwo. Vielleicht eine Reminiszenz an die Klänge überall auf der Welt, weniger an Musik, wie man sie gewöhnlich in einer Kirche hört.
Nucleus der Klanginstallation allerdings ist das I-Phone. Ein ohne Internet und ohne Strom nutzloses Gerät, aber dessen virtuelles Angebot in unserer Zeit für viele wertvoller als die Realität. Begreifen beinhaltet Greifen. Das allerdings bietet die Virtualität nicht.
Das I-Phone als pars pro toto für die Echtzeitkommunikation. Das I-Phone als unser aller Vademecum und Hosentaschenbibel. Unser Wissen und unser Verhalten hat sich durch die permanente Verfügbarkeit von allem Nicht-Greifbaren via Virtualität komplett verändert. Die beiden zurückliegenden Jahre haben dies mehr als deutlich gemacht. Wir schalten unser Hirn aus und glauben alles, was wir dort sehen und hören können.
Das I-Phone selbst scheint der Black Stupa in unserem vordergründig goldenen Industriezeitalter 4.0 zu sein.
Geschickt kombiniert Tuercke christliche und asiatische Formsprache in seinem Objekt und schlägt damit eine symbolische Brücke zwischen den Religionen. Perfektionistisch verbindet er zeitgenössische Technologie mit ausgeklügelten, vielschichtigen Inhalten und behütet dabei die Integrität der Stadtkirche.
Der diesjährige Preisträger Florian Tuercke hat sich mit „Black Stupa in a Golden Age“ in dieser im Übrigen mehr als sehenswerten 12. Ortung von andern Konzepten abgesetzt. In seinem Werk vereinen sich viele Aspekte und vielschichtige Inhalte, was die Jury dazu bewog, sich nach Diskussion und Diskurs einstimmig dafür zu entscheiden.